|
|
„...die Aufhebung von Blau in der Leere des Raumes – als die andere Seite des Himmels”
Yves Klein, zitiert in Hannah Weitemeier, Yves Klein S. 31
„ Avec le vide les pleins pouvoir” (Mit der Leere im Vollbesitz der Kräfte)
Albert Camus im Gästebuch der Vernissage von Le Vide, 28.4.1958 Galerie Iris Clert
|
|
|
|
Wie Leere geschieht
oder Wie begegne ich den Bildern von Tinka von Hasselbach
|
Um es gleich zu sagen: Die Bilder von Tinka von Hasselbach sind „leere“ Bilder, in dem Sinne, daß sie auf nichts außerhalb ihrer eigenen Wirklichkeit hindeuten. Sie deuten weder auf eine Landschaft, noch auf irgendwelche Gestalten, noch auf eine Handlung. Ihre Fläche besteht aus der Leuchtkraft der Farbe. Farbe, blaue Farbe, hellblaue, dunkelblaue Farbe, Indigoblau, schweres, dunkles, bedrohliches Blau, Blau, das in kalten Silberglanz übergeht, dumpfes Blau, das das Licht schluckt, Kobaltblau, Ultramarinblau. Die sorgfältig in unzähligen Schichten übereinander in einer fast schon meditativen Handlung aufgetragene Farbe ist das Bild. Ihre Gegenwart ist das Bild. Doch was ist es für eine Gegenwart?
Mit den gängigen Regeln der modernen ästhetik, die das Dargestellte in bezug auf eine außerhalb des Bildes stehende Wirklichkeit, und die selbst das abstrakte Bild als „Illustration“ eines geistigen oder gefühlsmäßigen Zustandes oder einer Haltung - eben der modernen - versteht, kommen wir bei den Bildern von Tinka von Hasselbach nicht weiter. Denn sie versteht ihre Bilder weder als Ausdruck eines bestimmten Zustandes, noch als Beleg einer bestimmten Haltung. Ihre Bilder stehen für sich selbst. Und da hilft uns ein anderes Bildkonzept, das seit den Anfängen der frühchristlichen Malerei bis in die Renaissance die europäische Kunst bestimmte. Nach diesem Konzept ist das Bild kein Abbild, kein repräsentatives Bild also, das in einem Bezug zu der außerhalb von ihm existierenden Wirklichkeit steht, sondern reale Gegenwart.
Auf den Bildern aus der Zeit vor Renaissance, zum Beispiel denen der Madonna, erzeugt das Dargestellte durch sein Erscheinen reale Gegenwart. Gemäß dem Alten wie dem Neuen Testament „Sich vor Gott ein Ereignis der Vergangenheit so in Erinnerung zu bringen, oder zu vergegenwärtigen, daß es hier und jetzt wirksam wird“, erschafft das frühchristliche Bild, Ikone genannt, keine Madonna, die ihre Existenz außerhalb des Bildes führt, das Bild ist die Madonna. Es ist kein repräsentatives Bild, da es reale Gegenwart herstellt, die durch den Gebrauch von teuren Materialien wie dem Gold, dem Elfenbein, den Edelsteinen, vor allem aber durch die Materialität und Leuchtkraft der Farbe herbeigeführt wurde. Die Farbe, ihre Beschaffenheit, ihre Intensität, ihre Fähigkeit, Licht zu reflektieren, zu brechen oder zu dämpfen und die Art, wie sie aufgetragen wird, die ganze hochkomplizierte Lehre vom Auftrag der Farbe in verschiedenen Schichten ist das wesentliche Mittel, das dem Maler eines nicht repräsentativen Bildes, der Ikone, bei Erzeugung realer Gegenwart zur Verfügung stand. Der Farbe traute man zu, reale Gegenwart des Dargestellten, der Madonna zum Beispiel, nicht nur zu erzeugen, sie stand stellvertretend für die Madonna.
Als Tinka von Hasselbach sich vor einigen Jahren längere Zeit in der Toskana und in Umbrien aufhielt, begann sie, beeindruckt durch die einmalige Wirkung der Farbe der Bildern und Fresken von Pietro Lorenzetti, Domenico Veneziano und Piero della Francesco, also von Malern, denen noch der Umgang mit Farbe als Erzeuger realer Gegenwart vertraut war, mit Eidotter gemischte Farbpigmente Schicht für Schicht auf Leinwände aufzutragen. Entstanden sind hellrote, leuchtend rote, gold schimmernde rote und gelbe „Tafeln“, die in einer dem mittelalterlichen Maler unvorstellbaren Radikalität die Farbe als einziges Element des Bildes zum Vorschein bringen. Farbe, derer Farbwerdung jedesmal durch die Schichtung neu zum Ausdruck kommt, Farbe, die jedesmal vor den Augen des Betrachters von Neuem zur Gegenwart wird, Farbe, die geschieht.
Und da sind wir bei einem weiteren Merkmal der Bilder von Tinka von Hasselbach. Sie sind durch ihre Farbe nicht nur von einer den mittelalterlichen Bildern ähnlichen Gegenwart. Sie sind auch keine statischen Bilder, die von einem zentralperspektivischen Punkt aus mit einem Blick zu fassen wären. Ihre Gegenwart geschieht. Sie sind ein Geschehen, das weder mit einem Blick, noch mit einer Abfolge einzelner Blicke zu erfassen ist. Sie fordern vom Betrachter ein Sehen in einem Akt kontinuierlicher Dauer. Ein Sehen, welches Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Phänomenologie, vertreten durch Edmund Husserl, in das philosophische Bewußtsein gebracht wurde. Husserl war es, der in das moderne Denken, das bis dahin die Bedeutung des Geschehens kaum thematisierte, den Begriff des Aktes als einer Handlung einführte, die von der subjektiven Erfahrung des eigenen Körpers ausgehend, die Wirklichkeit konstitutiv entstehen läßt. Für die Phänomenologie ist das Geschehen einer der zentralen Begriffe, gleichzeitig ist das Beharren der Phänomenologie auf der Bedeutung des Geschehens für das philosophische Denken ihr wichtigster Beitrag zum aktuellen Bewußtsein. Für sie geschieht die Wirklichkeit ähnlich den Bildern von Tinka von Hasselbach: durch einen als konstitutiv erfahrenen Akt des Sehens, der weder vollendet ist, noch jemals beendet werden kann.
Seit Jahren nimmt Tinka von Hasselbach Fotos vorwiegend von Landschaften, die sie selbst als eine Art Parallele zu ihren Bildern betrachtet. Ihre Aufnahmen von Wasseroberflächen, von Steinstränden, von blühenden Wiesen und mit Schwefel überzogenen Kraterlandschaften wirken auf den ersten Blick wie ein Gegensatz zu ihren Bilder. Wird hier in den Fotos doch die Zeit, das Geschehen durch den Druck auf den Auslöser zum Stillstand gebracht. Tatsächlich? Es stimmt, in den meisten Fotos werden das Wasser oder das Gras der Wiesen zwar in Bewegung gezeigt, diese Bewegung wird jedoch durch die fotografische Aufnahme, die nur einen einzigen Augenblick erfaßt, zur bewegungslosen Starre gebracht. Nicht so die Aufnahmen von Tinka von Hasselbach. In ihren Fotos scheinen die Wasserwellen weiter zu rollen und sich zu überschlagen, die Gräser sich dem Wind zu beugen, ja selbst die Steine sind plötzlich keine leblosen Dinge mehr. Auf diesen Aufnahmen geschieht die Natur, was die ungewöhnliche Qualität dieser Fotos ausmacht, was gleichzeitig aber auch das Paradoxe dieser Fotos ist – eine Fotoaufnahmen ist grundsätzlich ein zur Starre gebrachter Stillstand -, doch Paradoxe kennen kein „entweder/oder“, sondern nur das „und“.
Ich habe am Anfang die „Leere“ der Bilder von Tinka von Hasselbach erwähnt. Leere in dem Sinne, daß sie auf nichts hindeuten. Aus mündlicher Überlieferung wissen wir, das der russische Maler Kazimir Malewitsch 1923 während einer UNOWIS-Ausstellung „leere Leinwände“ zeigte, die ein Manifest mit dem Titel „Suprematistische Spiegel“ begleitete. In diesem Manifest spricht Malewitsch von der Unmöglichkeit, mit Hilfe der Wissenschaft, der Religion wie auch der Kunst irgendetwas zu erkennen. Er spricht von „0-Erkenntnis“. Für das Denken nach Hegel, der bekanntlich der Kunst das Ende prophezeite, weil sie keine Erkenntnisse mehr liefere, bedeutet dies das Ende, das ultimative Nichts. Nicht so für Malewitsch und seine Nachfolger. Denken wir nur an den weiß gestrichenen „leeren“ Raum, den der französische Künstler Yves Klein in der Pariser Galerie Iris Clerk geschehen ließ, und der nicht – wie einige posthegelianisch denkenden Kunsttheoretiker meinten – das Ende der Kunst bedeutete, sondern im Gegenteil als Vorläufer des „White Cube“ einen Ort für weiteres Geschehen offenlegte. „Die Leere ist nicht nichts“, sagt Martin Heidegger, ein Nachfolger Husserls, in seinem Essay über den spanischen Künstler Eduardo Chillida. „Sie ist auch kein Mangel.“ Denn erst die Leere schafft Orte, die zum Geschehen einladen. In diesem Sinne geschieht die Leere in den Bildern von Tinka von Hasselbach.
Noemi Smolik
|
|
|